Ich habe Jan Böhmermann singen gehört und am Ende habe ich geweint

Julius hat einen Text über den Gott der Medienkritik geschrieben! Und wir hören zu! Alle jetzt.


Menschen die Internet haben, kennen das: Jemand schickt dir einen Link für ein Video. Kommentarlos, lediglich ein Smiley verziert die kryptische Buchstabenkette. Du musst schon draufklicken, um herauszufinden, was dein „Kumpel“ so witzig findet. Das kann von einem würgreiz-erzeugenden, niedlichen Katzenbaby bis zu einem sympathischen Psychopathen, der sich genüsslich ein leicht zerbrechliches Gurkenglas rektal einführt, so ziemlich alles sein. Wenn dein Umfeld jedoch zum größten Teil aus Studenten und Medienfuzzis besteht, deren Kampfruf „Political Correctness JETZT“ ist, ist die Chance ungemein höher, dass du den neusten Clip eines gewissen Jan Böhmerman sehen darfst. Ja genau, der dusslig-quatschende Side-Kick von Harald Schmidt! Der zusammen mit Charlotte Roche eine Talk-Sendung in den Sand setzte, dann den Grimme Preis für sein despotisch geführtes Neo Magazin ergaunerte, seit über zwei Jahren jeden Sonntag mit Olli Schulz eine Radiosendung hat und mittlerweile bundesweit Hörer von sieben Sendern ihr Radio für zwei Stunden ausschalten lässt.
Jetzt aber mal ehrlich, der Typ ist ziemlich genial. Das weiß jeder, der sich das letze Jahr nicht grenzdebil sabbernd vor die Glotze gesetzt hat, um RTL zu gucken. Verdammt, selbst dann hast du den Typen gesehen. Zwar nur zweimal, aber immerhin: Böhmermann ist überall. Unter dem alles abschirmenden Mantel der Ironie redet der geborene Bremen-Vegesacker mit schnalzender Tourette-Zunge in nicht enden wollenden Sätzen und erobert so die Herzen der selbsternannten Intellektuellen. Immer dann, wenn er seine Kunst, aus dem Nichts einen unterhaltsamen Redeschwall zu generieren, mit Musik verbindet, scharren 300 spartanische Krieger missmütig mit den Füßen, weil ihnen die Epicness-Keule aus den Händen gerissen wurde. Derjenige, der bei der „Hymne auf die 90er“ keine Gänsehaut hatte, soll den ersten Stein werfen. Auf seine Eltern, weil da bei der Erziehung etwas verflucht falsch gelaufen ist.
Um dem Lassi-trinkenden ZDF Neo-Publikum mitzuteilen, dass die Sommerpause vorbei und seine Show wieder da ist, hätte ein kurzer, aber informativer 10-Sekünder gereicht. Aber nicht doch mit einem Grimmepreisträger, einem Nominierten des Deutschen Fernsehpreises, nicht doch mit Jan Böhmermann! Er nutzt den Aufwind seines Ruhmes, um ein dreieinhalb Minuten langes Musikvideo zu drehen und einen Song darüber zu schreiben, dass er endlich zurück ist. So wie Tokio Hotel. Während die glibberige Performance der Kaulitzer hoffnungslos unbeachtet nach monsunartigen Tränengüssen giert und dabei junge Frauen schaudernd an ihre Teeniezeit erinnern lässt, macht Meta-Böhmermann einfach alles richtig: Ein witziger Text, stilsicher kopierte Bilder und ein Sinn für clevere Details. Allerdings würde die Parodie niemals so gut funktionieren, wenn er nicht über eine überraschend gute Gesangsstimme verfügen würde. Denn selbst wenn der Text es inhaltlich mit den Zehn Geboten aufnehmen könnte, will niemand über drei Minuten jaulendes Gejaule hören.
Musik mit komödiantischen Inhalten zu verbinden, ist ganz sicher keine besonders originelle Idee. Frag mal Otto Walkes. Leider sind eben nur sehr wenige Künstler feinfühlig genug, sowohl einen guten Song aufzunehmen, als auch die stimmige Menge an Humor einfließen zu lassen. Frag mal Otto Walkes. Böhmermann gelingt das mal eben mit einem Einspieler im Musikvideo-Gewand. In Zeiten, in denen wir ein YouTube-Video nach kurzer Zeit aufmerksamsdefizitär wegzuklicken, weil es eben auch so viel Scheiße gibt, ist eine solche Kunst pures Gold.
Jawohl, Böhmermann ist zurück und wird uns wieder glänzend auf dem Spartensender unterhalten. Oder eher auf YouTube, weil uns wieder jemand einen Link mit einem Smiley schickt.