blues: Erwartungen nicht mehr enttäuschen

Der erste Tag ist vorüber und alles in allem fühlt sich das sehr, sehr gut an. Ich habe ein bisschen programmiert, an einigen Dialogen geschrieben. Und ich arbeite nun also ganz offiziell an meinem ersten Computerspiel. Was für ein merkwürdiges Gefühl. Und es wird wohl noch merkwürdiger. Doch bleiben wir erst einmal auf dem Teppich und reden über blues.

Das Spiel handelt von einem Trennungsgespräch. Ihr befindet euch mit eurer liebsten Person in einem Raum und müsst entscheiden, wie ihr damit umgehen wollt. Gibt es eine Chance, die Person davon zu überzeugen, dass das vielleicht doch noch klappt, mit der Beziehung? Oder ist die Liebe für immer verloren? Die Spielwelt ist auf das absolut Wesentliche reduziert und es geht um den Moment, das Gefühl: Wie gehen wir mit Situationen um, die wir falsch eingeschätzt haben?

Ich möchte das Spiel bereits am Ende der Woche herausbringen und werde bis dahin jeden Tag etwas über das Voranschreiten berichten. Heute möchte ich noch etwas über die Entwicklung der Handlung erzählen und warum ich mich dazu entschlossen habe, alles auf Englisch zu schreiben.

Die Handlung und das gesamte Spiel sind sehr kurz. Ich würde sogar sagen, dass man es in maximal 5 Minuten komplett durchspielen kann. Doch gerade bei solchen Spielen ist es eine besondere Herausforderung, Texte zu schreiben, die einen mitreißen können. Für blues habe ich mir deshalb überlegt, dass ich eine klare Perspektive haben möchte. Ich möchte, dass der Spieler sich in eine Situation hineinversetzt, die ihn unangenehm berührt und die immer unangenehmer wird, je länger er sich mit ihr auseinandersetzt. Da das Gespräch gleichzeitig zu den Spielerhandlungen geschieht, muss sich der Spieler zusätzlich auch noch entscheiden, ob er sich entweder auf den Text oder auf seine Aktionen konzentriert. Möglicherweise entsteht gerade aus dieser unangenehmen Berührung, aus diesem Kontrollverlust, dann eine Sympathie für die Perspektive anderer Menschen.

Für einen englischen Text habe ich mich aus zwei Gründen entschieden: Zum einen möchte ich das Spiel so zugänglich wie möglich gestalten, was eine Veröffentlichung und Auswertung auch auf englischsprachigen Webseiten ermöglicht. Zum anderen hat die englische Sprache einen gewissen Hang zur Kürze, was eindeutig zur Situation der beiden Personen passt und es mir erlaubt, die Mündlichkeit des Textes hervorzuheben.

Das war es schon für heute. Morgen geht es dann um das minimalistische Design des Spiels und es gibt ein paar Bewegtbilder!

Konstruktiv

Willkommen zum alltäglichen Wahnsinn! Konstruktiv heißt die gute Show und es geht darum, im Februar und im März, etwas Neues anzufangen. Die Prüfungen sind vorbei und ab jetzt heißt es: wieder kreativer sein. Nachdem ein Großteil des vergangenen Jahres ohne Veröffentlichungen verstrichen ist, sollen jetzt wieder Filme entstehen, Musik komponiert und auch ein Computerspiel erdacht werden.

Damit nicht genug: Ab dem 16. Februar werden hier täglich neue Beiträge über die Fortschritte erscheinen, und ich werde die verschiedenen Projekte der Reihe nach vorstellen und besprechen. Dabei unterstützen mich Johann und Martin beim Musik machen, Marcel und Hermann und Felix beim Filmdreh. Wilhelm soll irgendwas über Filme und/oder Serien schreiben! Jonathan macht sowieso was er will. Mehr Motivation, weniger Zynismus!

Und immer noch nicht genug: Ich lade euch dazu ein, selbst konstruktiv zu sein und an Projekten zu arbeiten, für die ihr euch möglicherweise ansonsten zu wenig Zeit nehmt! Fangt an zu häkeln, schreibt über eure Pilzsammelleidenschaft! Macht Chiptune-Musik! Lang genug haben wir Let’s Plays geschaut und Serien vergöttert. Experimentiert mit eurem Alltag! Macht Kunst und fragt später!

Und falls ihr Lust habt, bei einem meiner Projekte mitzumachen, meldet euch einfach per E-Mail bei mir: henry[at]herkula.info! – xesier.de / henry.herkula.info

Gedichtvortrag

Ich weiß nicht, warum ich in mir so eine Abneigung gegen Poetry Slams verspüre. Aber sie ist eindeutig vorhanden. Ja, auch als angehender Literaturwissenschaftler. Und ach, ich weiß doch auch nicht. Ich müsste das eigentlich mögen: Experimentelle Sprachspiele, Alltagserzählungen und vorgetragenes Gedichtszeug. All diesen Kram eben. Aber dann fühle ich mich doch unwohl und jedes Mal, wenn ich eine Aufzeichnung von diesen Veranstaltungen sehe, fällt es mir schwer, den Vortragenden auch nur eine Sekunde zuzuhören.

Vielleicht ist mir ja dieser permanente rebellische Unterton suspekt. Ich möchte keine gesonderte Veranstaltung, auf der ich mich mal kurz antiautoritär verhalten darf, damit ich dann den Rest des Jahres die Schnauze halte. Keine Ahnung, ob das bei den meisten Leuten so ist. Aber das ist das erste, woran ich denken muss, wenn jemand versucht, mir auf einer Bühne zu erklären, was es so für komische Menschen gibt.

Aber auch dieses generelle Bühnen-Getue ist mir unangenehm. Ich möchte keine Wörter in einer komischen Aussprache wiederholt haben. Nein. Ich möchte, dass die Leute ehrlich mit sich selbst sind und Unsicherheiten zeigen. Aber Unsicherheiten verkaufen sich nicht so gut vor anderen Menschen. Schon klar. Ne, lieber kleine politisierte Markus-Lanz-Witze machen und auf der sicheren Seite stehen.

Ich habe auch generell so ganz merkwürdige stereotype Bilder von Slammern. Das eine schlimmer als das andere. Und ja, ich schäme mich dafür. Aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Da ist für mich einer, der übelst krasse Lines runterrattert und zum Schluss klatschen alle. Dann noch das Bild von der Studentin, die jetzt mal ihre ganze politische Agenda rezitiert und zum Schluss klatschen alle. Und dann noch den Witzbold, der über sein Äußeres und seine Alltagserfahrungen redet, am besten noch über Alltagsrassismus, den er hin und wieder erlebt. Und zum Schluss klatschen alle. Und schön, dass alle klatschen und lachen. Aber für mich ist das mehr Karneval als irgendwas anderes.

Geschichten zu erzählen ist eine wunderbare Sache. Aber jedes Mal, wenn ich mir einen Poetry Slam anschaue, vergeht mir die Lust an den Erzählungen. Ich will keine neuen jungen Stand-Up-Comedians, die sich dagegen wehren, von der Gesellschaft instrumentalisiert zu werden, während sie verzweifelt versuchen, alle Einnahmen von ihren Mitbewohnern im Wohngeldantrag fürs Bürgeramt zusammenzutragen.

Ich möchte die Menschen auch nicht zum Lachen bringen, wenn sie eigentlich mitfühlen sollten. Ich möchte kein Theater, wenn Menschen auf einer Bühne stehen. Ich wünsche mir eine Geschichte, an dessen Ende ich weinen darf. Nicht weil ich die Vortragsweise beeindruckend fand, sondern weil die Menschen für einen Moment lang ehrlich zu mir waren.

Unfertig

Mein Leben wirkt auf mich manchmal wie eine große Baustelle, dessen Grundriss ohne Begründung alle paar Monate überarbeitet werden muss. Und wie das manchmal so ist, befindet man sich plötzlich hinter dem Zeitplan. Dabei müsste man doch schon längst wenigstens das Fundament gegossen haben, oder so etwas in der Richtung. Aber es hilft nichts, denn man findet selbst immer wieder neue Löcher im Konstrukt. Und die Zeit vergeht, während man sich immer noch damit beschäftigt, in welcher Farbe die Tapete im nicht einmal ansatzweise vorhandenen Wohnzimmer erstrahlen soll.

Der Versuch eines perfekten Lebens erscheint mir von Tag zu Tag fahrlässiger. Aber sollte ich deshalb aufgeben, danach zu streben? Was bedeutet perfekt in diesem Zusammenhang überhaupt? Handelt es sich um eine Übereinstimmung mit den eigenen Werten, die sowieso jeden Tag durch alles Mögliche ins Wanken geraten? Oder ist es eher der Wunsch nach einer tadellosen Lebensgeschichte, die wir für andere aufbereiten können, in Form von Reiseabenteuern, Liebesaffären und gefährlichen Mutproben? Perfekt scheint ein vollkommen unangebrachtes Wort zu sein, wenn man versucht, sein Leben zu gestalten, denn anscheinend spiegelt es nur die Wünsche anderer in uns selbst wider.
Möglicherweise bezeichnet aber ein perfektes Leben auch einfach den Zeitraum, den wir mit den schönen Dingen verbringen können, ohne Gedanken daran zu verschwenden, ob diese überhaupt zu uns passen. Wir fragen also nicht mehr, inwiefern etwas zu unser selbst konstruierten Persönlichkeit gehören darf, sondern wir schauen, dass uns die schönen Dinge nicht entwischen, wenn wir sie einmal identifiziert haben.
Doch was sind die schönen Dinge? Lassen sie sich wie Briefmarken sammeln, aufbewahren und wieder hervorholen? Oder sind sie generell eher kurzlebig und deshalb nur für unsere Erinnerung bestimmt? Meine Baustelle hat darauf noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Aber vielleicht muss sie das auch nicht, solange ich die schönen Dinge wenigstens für mich selbst erkennen kann. Dementsprechend sollte es jedem selbst überlassen bleiben, was diese schönen Dinge für ihn sind, denn sonst befinden wir uns wieder am Anfang, bei dem andere Menschen ohne Zustimmung über den Grundriss unseres Lebens bestimmen.

Bullshit-Repellent

Es gibt so viele Vorstellungen, dass es manchmal schwer fällt, die Übersicht zu behalten. Es wird von Quanten-Teleportation, Theosophie, Raumzeit, Anthroposophie, Singularitäten oder Kausalität gesprochen. Doch woran kann ich jetzt genau erkennen, was glaubhaft ist und was nicht, wenn alles gleich aussieht? Das ist ein nicht auflösbares Problem. Und ich versuche, mich gerade sehr zurückzuhalten, damit ich aus dieser Liste nicht sofort die Auffassungen herausstreiche, die ich selbst für extrem fragwürdig halte. Wir bauen schnell ein System von Zusammenhängen auf und stützen diese Zusammenhänge mit den Auffassungen von Menschen, die sich intensiver damit beschäftigt haben. Unsere Vorstellungswelt wird davon beeinflusst, wem wir vertrauen und was wir daraufhin für richtig erachten.

Um diesem Problem entgegen zu wirken, entwickelte sich über die Zeit hinweg das wissenschaftliche System, das Glauben mit klar definierten Argumenten untermauert. Philosophen versuchen die Grundlagen der Welt zu entschlüsseln, mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen: mit der Auswertung ihrer eigenen Wahrnehmung. Und daran hat sich grundsätzlich nicht viel geändert. Auch heutzutage nutzen Wissenschaftler Methoden, vielleicht genauere, und es werden Ergebnisse ausgewertet, vielleicht strukturierter. Doch grundsätzlich versuchen wir immer noch unsere eigene Vorstellungswelt mit den Argumenten zu stützen, die wir für akzeptabel halten.

Allerdings ist das ein riesiges Problem, weil ja davon ausgegangen wurde, dass die Wissenschaft es schafft, dass nicht einfach jede Theorie gleichbedeutend ist. Und jetzt beginnt Beeinflussung: Ich denke, dass die Naturwissenschaft das beste Mittel ist, um an die Welt heranzugehen und die Welt vollständig zu beschreiben, auch wenn es andere Herangehensweisen gibt. Ich denke jedoch auch, dass es keine ausgereifte Möglichkeit gibt, andere von den Argumenten der Naturwissenschaft zu überzeugen. Und das ist mein eigentliches Problem.

Denn was nützen die offensichtlichsten Errungenschaften wie Internet, Computer, Flugzeuge, Elektrizität oder Medizin, wenn es darum geht, eigene Überzeugungen zu verteidigen? Und natürlich ist es polemisch von mir, das zu behaupten und anderen Argumentationen vorzuwerfen. Aber genau das ist ja auch das Problem der anderen Argumentationen. Es gibt keine Auffassung, die nicht angegriffen werden kann, weil unser Kopf eben für jedes X ein -X hervorruft. Ich spreche mich für Naturwissenschaften als universelle Beschreibung aus, weil sie meines Erachtens nach die beste Variante sind, gerade aufgrund ihrer Errungenschaften.

Aber darum geht es mir nicht. Ich möchte keine Lanze für die Naturwissenschaft brechen und hier eine klare Argumentation niederschreiben, die jegliche Einwände aufführt und entkräftet. Ich möchte vielmehr erst einmal erwähnen, wovon ich selbst überzeugt bin, damit ich an etwas anderes appellieren kann. Ich möchte Elemente ansprechen, die mir aufgefallen sind, als ich versucht habe, meine Auffassungen zu verteidigen und andere versucht haben, ihre zu verteidigen. Und in solchen Situationen werden gern autoritäre Prinzipien herangezogen, die die Argumentation in eine Richtung lenken, die sie überflüssig machen. Und ich möchte verständlich machen, dass ich die Nützlichkeit dieser Methoden, dieser Bullshit-Repellentien, zwar für den pragmatischen Rhetoriker nachvollziehen kann, sie aber dennoch grundsätzlich ablehne, weil ich denke, dass sie, wenn es um Anregungen des eigenen Denkens geht, niemandem etwas bringen.

Noch einmal kurz etwas zu dem Begriff „Bullshit-Repellent“. Ein Repellent ist ein Wirkstoff, um etwas, in diesem Fall Bullshit (nicht faktenbasiertes Wissen), abzuwehren. In meiner konkreten Verwendung geht es um Methoden, die zu dem Zweck geäußert werden, die eigene Position zu verstärken, weil man denkt, man würde sich auf ein allgemeineres Prinzip berufen. Jedoch lässt man möglicherweise außer Acht, dass dieses Prinzip ebenfalls angezweifelt werden kann, was wiederum dazu führt, dass die Diskussion eher nur an Komplexität gewinnt, ohne dass ein Mehrwert für die Diskussionspartner entsteht. Das bedeutet nicht, dass diese Methoden nicht ihren Anwendungsbereich haben, wenn es darum geht, eine ausgeschöpfte Diskussion zu erweitern, eine andere Perspektive heranzuführen oder böser formuliert: andere Menschen an die Wand zu argumentieren. Sie sollten allerdings vermieden werden, wenn es darum geht, überhaupt erst einmal ein Feld der Argumente abzustecken.

Logik: Ich halte die komplexere, philosophische Logik für überschätzt, weil sie den Anspruch erhebt, Wahrheit zu entschlüsseln, aber selbst keinen Inhalt besitzt. Es wird davon ausgegangen, dass Argumente oder Prämissen klar von anderen Argumenten oder aber auch von Konklusionen getrennt werden können. Oder aber dass überhaupt eine Kausalität zwischen Prämisse, Argument und Konklusion existiert. Ein logisches Schlussfolgern und eine logische Analyse sind meines Erachtens hilfreich, um einen Überblick zu erhalten und einen Text klarer zu strukturieren, aber helfen nicht dabei, irgendetwas grundsätzlich auszuschließen oder zu bestätigen, weil nur darauf gewartet wird, dass eine sprachlich ausgefeilte Prämisse mit einer speziellen Zusammenstellung von Begriffen den Zusammenhang schafft, der zur Überzeugung notwendig ist.

Ockhams Rasiermesser: Die einfachste Variante soll bevorzugt werden, wenn gleichwertige komplexere vorhanden sind. Es gibt keine gleichwertigen Vorstellungen. Möglicherweise gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Theorien innerhalb der Beschreibungen. Allerdings führen andere Begriffe immer zu einem anderen Verständnis, egal als wie klein und unscheinbar es sich darstellt. Auch ist nicht geklärt, was die einfachste Variante ist. Ist die einfachste Variante, die die am besten die Wirklichkeit beschreibt und am verständlichsten ist? Nun, Verständlichkeit ist ein gesellschaftliches Problem, das von verschiedenen Faktoren abhängt. Zeit, Umgang mit anderen Menschen, kultureller Einfluss durch Medien, Interessen. Alles beeinflusst, ob ich etwas besser verstehe oder nicht. Und wer bestimmt eigentlich, was die Wirklichkeit am besten beschreibt? Sind die einfachsten Varianten unter gleichwertig komplexeren die besten Beschreibungen? Gott hat es getan, ist einfacher verständlich und unter vielen Bedingungen für viele Menschen gleichwertig zu komplexeren Herangehensweisen, und damit scheinbar besser als die Vorstellung, dass irgendwelche Naturkräfte komplizierte Regeln haben, die anscheinend irgendetwas anderes auslösen.

Prinzip der wohlwollenden Interpretation: Ich halte diese Methode für unglaublich wichtig und dennoch gehe ich davon aus, dass sie einen grundsätzlichen Fehler besitzt. Was hier in große Worte geschmückt wird, ist die Toleranz für das, was andere Menschen machen. Es geht darum, eben nicht sofort „Bullshit“ zu rufen, wenn jemand argumentiert, sondern ihn aussprechen zu lassen und ihm dann, wenn es nötig ist, zu widersprechen. Es geht darum, Schlüssigkeit von Wahrheit zu trennen, weil Wahrheit eben verschiedene Perspektiven hat und durch unterschiedliche Herangehensweisen erreicht werden kann. Doch das Prinzip der wohlwollenden Interpretation beinhaltet auch den faden Beigeschmack von: Ich muss widersprechen. Ich warte nur bis zum Ende, bevor ich damit loslege. Vielleicht lasse ich mich auch einfach überzeugen, vielleicht versetzt mich der Gedanke, dass ich etwas wohlwollend ertragen muss, erst in den Zustand, dass ich es ertragen muss. Das muss aber auch nicht sein, vielleicht hilft es bereits, sofort „Bullshit“ zu rufen, weil die Argumentation nicht aufhört und immer komplexer wird und man den Anfang bereits wieder vergessen hat. Und vielleicht versteht man es dadurch viel besser, weil derjenige umdenken muss.

Fazit: „Bullshit“. Ist es gut, zu hinterfragen oder ist es gut, sich überzeugen zu lassen? Ich kann keine gute Antwort darauf geben, weil jeder beides tut. Manchmal werde ich überzeugt und hinterfrage nicht, manchmal hinterfrage ich und werde nicht überzeugt. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es generell nicht möglich ist, eine überzeugende Antwort für jeden zu finden. Möglicherweise ist dieser Beitrag auch nur ein Versuch, andere vollkommen zu verwirren, ihre Prinzipien hinterfragen zu lassen und dadurch zu neuen Prinzipien zu bringen, die ich für ausgereifter halte. Ich weiß es nicht. Ich schreibe darüber, weil es mich gerade fasziniert, dass egal wie ausgereift Prinzipien erscheinen mögen, sie niemals wirklich für alle ausgereift, verständlich oder gut sein müssen.

Ich habe meine Prinzipien im Hinterfragen und im Einfühlen. Sie entsprechen in weiten Teilen der wohlwollenden Interpretation und Ockhams Rasiermesser. Toleranz, Verständlichkeit, Geschlossenheit, …, all diese positiven Substantive, die man so kennt. Und doch ist da wieder Unsicherheit. Und diese Unsicherheit, dieses Gefühl, etwas nicht wissen zu können, ist es, das mich dazu bringt, noch mehr darüber nachzudenken. Ich weiß nur nicht, ob ich anderen, die nicht unsicher sind, vorwerfen sollte, dass sie ohne Unsicherheit keine Eigenständigkeit entwickeln können, weil eine gedankliche Sicherheit eben nur ein Konstrukt autoritärer Einflussnahme ist und sie damit eingestehen, dass sie eher den Wünschen anderer entsprechen wollen. Aber selbst das ist fraglich, weil sich ab diesem Moment die Wünsche anderer nicht mehr von den eigenen trennen lassen.

Geisteswissenschaften, wohin soll das führen?

Ich bin der Auffassung, dass sich jede Wissenschaft die Frage nach ihrer Nützlichkeit stellen muss, weil die Wissenschaft nicht losgelöst vom Menschen betrachtet werden kann. Wenn Menschen also Wissenschaften betreiben, dann machen sie das immer auch unter dem Aspekt, dass sie menschliche Belange zufriedenstellen wollen; auch wenn Bedürfnisse wie beispielsweise Neugier oder Wahrheitsstreben ebenfalls wieder abstrakt ausfallen können.

Wenn ich jedoch von der Nützlichkeitsfrage spreche, dann möchte ich nicht nur, dass sich Wissenschaftler mit ihren persönlichen Zielen auseinandersetzen. Nützlichkeit beschreibt in diesem Zusammenhang den konkreten Grund für ihre Tätigkeit. Ich möchte auch, dass sie sich die Frage stellen, inwiefern ihre Forschung einen Einfluss auf den Alltag von anderen Menschen haben kann.

Geisteswissenschaften tendieren dazu, diese Frage in den Hintergrund zu schieben, weil sie die Nützlichkeit nicht als konkrete Kategorie ihrer Wissenschaftsbestrebungen begreifen. Für sie ist die Wahrheit und das Wahrheitsstreben im Vordergrund. Mit jeder Interpretation und jeder Analyse soll ein Stück Realität ausgegraben werden, das sich in unserem Alltag oder in unserer Vergangenheit verborgen hält.

Bevor ich jedoch meine Kritik daran äußere, möchte ich Wahrheit als Begriff näher betrachten. Wahrheit bezeichnet das, was wirklich passiert und passiert ist. Es geht darum, eine vollständige Vorstellung von unserem Umfeld zu erhalten. Gleichzeitig ergibt sich daraus auch eine der wichtigsten Funktionen von Wahrheit: Wir gehen davon aus, dass wir durch die Wahrheit bessere Entscheidungen treffen können, weil wir alle Aspekte einer Sache bei unserem Entscheidungsprozess miteinbeziehen können.

Niemand geht aber davon aus, dass Wahrheit wirklich erreicht werden kann. Wenn wir von einer Suche nach Wahrheit sprechen, dann wird diese Unerreichbarkeit immer mitgedacht. Die Wahrheitssuche hat sich allerdings dennoch zum Ziel gesetzt, unter diesen widrigen Bedingungen eine Vorstellung von der Welt zu entwickeln, die möglichst wahrscheinlich ist und anderen dabei helfen kann, zu verstehen, was wirklich geschieht und geschehen ist.

Ich möchte aufzeigen, dass die Suche nach Wahrheit nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit eine Relevanz für die Gesellschaft besitzt. Die Suche nach Wahrheit kann deshalb meiner Ansicht nach nicht aus sich selbst heraus als Grund für Wissenschaftsbestrebungen herangezogen werden. Weiterhin schließe ich Naturwissenschaften bei dieser Kritik aus, da sie über ihre Methoden die angebliche Wahrheit ohne zu zögern durch neue Erkenntnisse ersetzen können. Nun aber zu den Argumenten.

Erstens: (Realität wird von Menschen unterschiedlich aufgefasst. Menschliche Werke können deshalb nicht als Grundlage für Wahrheit dienen. Und sie können deshalb auch nicht gut ausgewertet werden.) Im Englischen auch als narrative bias diskutiert, beschreibt dieses Phänomen unsere Tendenz dazu, für alles einen Grund finden zu wollen, um damit eine nachvollziehbare Geschichte für unsere Umwelt zu gestalten. Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir alle nicht dieselben Erfahrungen machen und demnach bisher bereits eine unterschiedliche Vorstellung von der Wirklichkeit haben, dann führt das ebenfalls dazu, dass wir die vorgeblichen Fakten, die uns in Form von Quellen und gesichertem Wissen vorliegen, unterschiedlich betrachten.

Zweitens: (Wahrheit hat ein Übersetzungsproblem.) An die Schwierigkeit Quellen unabhängig von unserer Persönlichkeit zu betrachten, schließt sich an, dass wir auch die Wörter selbst nicht vollständig verstehen können. Sie wurden nicht nur in einem anderen kulturellen Zusammenhang geschrieben, sondern jeder Mensch hat durch seine Erfahrungen trotz seines Allgemeinwissens (Was ist gemeint, wenn ich von einem „Stuhl“ spreche) auch andere Vorstellungen von Wörtern (Wenn ich das Wort „Stuhl“ höre, wie geht es mir? Achte ich überhaupt auf mich, wenn ich das Wort höre?), die Einfluss auf unser Verständnis eines bestimmten Wortschatzes haben. Möglicherweise gehen wir auch davon aus, dass sie uns zugänglich sind, weil wir ihre Benutzung kennen oder ihre Benutzung erforscht wurde, aber diese Wortforschung unterliegt denselben Beschränkungen, wie die Suche nach der Bedeutung des gesamten Textes.

Drittens: (Wenn Wahrheit eingegrenzt wird, dann soll sie eine Funktion ausüben, die allerdings durch bestimmte Vorstellungen geprägt ist.) Wenn die Suche nach Wahrheit Informationen über eine bestimmte Zeit herausgefunden hat, dann besteht die Frage danach, wie diese Informationen bewertet werden sollen. Je nachdem welche Informationen miteinbezogen und welche vernachlässigt werden, entsteht dadurch ein bestimmter Blick auf eine Zeit. Diese Teilwahrheit kann gut belegt sein, aber gibt nur noch eine Tendenz an. Weiterhin kann durch neue Informationen wie neue Quellen die Teilwahrheit relativiert werden.

Viertens: (Teilwahrheiten sind keine gute Grundlage für eine Gesellschaft.) Teilwahrheiten sind unsere einzige Möglichkeit, die Geschichte zu betrachten. Das bedeutet: Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, müssen wir unsere Gesellschaft und unser Verhalten mit einer Vergangenheit vergleichen, die erstens nicht mehr existiert und zweitens so wie dargestellt, niemals existiert haben muss. – Ich möchte mit diesem Argument keinem Geschichtsrevisionismus Vorschub leisten. Geschichtsforschung ist wichtig und hat ihre Methoden, um der Wahrheit näher zu kommen. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, dass die Wahrheit keine einfach zu bestimmende Konstante ist.

Fazit: Die Wahrheit und die Suche nach Wahrheit erscheinen mir als vorgeschobene Gründe, um eine eigene Ideologie in Form von Teilwahrheiten umzusetzen. Diese Ideologie muss keine negativen Auswirkungen haben, aber sie wird in Diskussionen meist vernachlässigt, um möglicherweise Macht auszuüben. Aus diesem Grund halte ich es für fragwürdig, wenn sich Geisteswissenschaften der Frage nach der Nützlichkeit entziehen und vorgeben, Wahrheit zu entziffern.

Ich kann nicht gut schreiben

So. Sprechen wir mal über etwas, das mich schon seit längerer Zeit an mir selbst aufregt, aber über das ich nicht wirklich gern rede. Und zwar kann ich nicht schreiben. Also natürlich kann ich Dinge aufschreiben, die manchmal auch einen gewissen Zusammenhang haben und auch einige Aspekte einer bestimmten Thematik ansprechen. Das was mir allerdings wirklich zu schaffen macht, ist eine fehlende Leichtfüßigkeit, ein Stil, der sowohl Prägnanz als auch Verständlichkeit mit sich führt, aber trotzdem nicht in der Belanglosigkeit untergeht. Und bisher scheitere ich daran immer wieder.

Dabei erscheint es mir so einfach, über ein bestimmtes Thema zu schreiben. Mich interessiert etwas, ich schreibe ein paar Gedanken dazu auf, erarbeite mir eine grobe Struktur von meinen Ideen, suche mir ein paar nette Beispiele und schreibe das Ganze in einer enthusiastischen, etwas übertriebenen Art auf, um einen klaren Ton vorzugeben. Und doch kommt am Ende meist sehr viel Geschwurbel heraus, das relativ selten das trifft, was mir am Herzen liegt.

Denn ich weiß sehr viel mehr über das Thema, als ich in den Zeilen dieser meist essayistisch angehauchten Artikel niederschreibe. Und manchmal bemerke ich schon, während ich die Struktur des Artikels festlege, dass möglicherweise mehr erforderlich ist, als nur ein kurzer Gedankenauszug. Doch gleichzeitig sehe ich mich unter dem Druck, einen Artikel zu schreiben, der eben nicht unüberschaubar wird, aber dennoch versucht, etwas Originelles anzusprechen.

Und was soll ich sagen? Ich scheitere daran. Ich kann nicht gut schreiben. Jedenfalls nicht über etwas, das auf vielfältige Weise betrachtet werden kann. Ich scheitere daran, diese interessanten Ideen in mäßig umfangreicher Art aufzuschreiben, weil ich entweder dazu tendiere, kurze treffende Formulierungen zu wählen, aber den Umfang der Problemstellung zu ignorieren und dann unzufrieden darüber bin, dass ich ein Thema nur halbherzig besprochen habe, oder aber viel zu ausschweifend werde und endlos lange Artikel verfasse, die ein großes Maß an Aufmerksamkeit einfordern, während ich gleichzeitig aber in einem sehr emotionalen Stil schreibe, der zu dieser Form nicht mehr passt.

Gefühlvoll und spannend zu schreiben, dennoch aber den Kern der eigenen Mitteilung zu erfassen, ist eine schwierige Aufgabe für mich. Nehmen wir doch einfach mal diesen Beitrag als Beispiel. Bis hierhin habe ich versucht, meinem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Es stört mich, dass ich es nicht schaffe, eine ordentliche Dramaturgie in meine Texte hineinzubringen. Doch ab jetzt wollte ich damit anfangen, mich zu therapieren und mir Hinweise zu geben, wie ich in Zukunft damit umgehen werde. Doch jetzt sehe ich gedanklich davon ab und schreibe lieber darüber, warum das keine gute Idee von mir gewesen ist.

Für mich selbst ist es möglicherweise sinnvoll, dass ich versuche, mir zu helfen. Stilistisch gesehen handelt es sich aber um einen Bruch des Textes, der dazu führt, dass aus einer Gefühlsbeschreibung heraus plötzlich eine Handlungsanweisung für das richtige Schreiben entsteht. Dieser Bruch erschwert das Verständnis des Textes, weil der Funktionswechsel zu radikal stattfindet. Der Leser befindet sich möglicherweise noch in einer Form des Mitfühlens und wird dann sofort in Richtung Kritiker der Hilfsleistungen getrieben.

Und das ist nicht cool, weil er plötzlich mit einer anderen Erwartung konfrontiert wird und dadurch weniger Lust hat, weiter zu lesen. Deshalb mache ich das jetzt auch nicht unbedingt besser, indem ich „deshalb“ schreibe oder mit Metakommunikation versuche, der unangenehmen Rollenverschiebung entgegenzuwirken. Aber dennoch muss ich irgendwann in irgendeiner Form dazu überleiten, etwas Sinnvolles für mich aus diesem Gefühlswirrwarr herauszuholen.

Vielleicht ist diese Form des Gedankenstroms zielführender als klar definierte Bereiche, vielleicht sind kurze, klar formulierte Gefühlsäußerungen eine gute Variante, ein Ziel zu finden. Vielleicht ist das „vielleicht“ auch eine gute Form nicht eine Lösung für mich endgültig zu definieren, sondern den Leser zu ermutigen, selbst Überlegungen anzustellen und die Problematik nicht damit abzuschließen, dass eine klare Lösung (für mich) bereits gefunden wurde.

Gutes Schreiben und ein guter Text müssen sich für mich gut anfühlen. Das ist das einzige, was ich deutlich sagen kann. Was es allerdings bedeutet, wenn ich von gutem Schreiben spreche, das weiß ich nicht. Und ich merke schon, dass ich wieder Absatz für Absatz schreibe und ein Gefühl von einem Ende aufbauen will. Aber möglicherweise gibt es keine guten Enden. Möglicherweise sind Enden eine Illusion von Abgeschlossenheit, weil ich ja weiter denke und ich euch nur ein gutes Gefühl vermitteln möchte, eben dass doch noch alles gut geworden ist. Ihr entscheidet.

Und dann sind wir allein

Sterblichkeit ist für mich nur noch selten ein Thema, weil sie mir kaum etwas anbieten kann, worüber ich nicht bereits nachgedacht hätte. Ich habe sie psychologisch und philosophisch eingeordnet, ich habe sie filmisch emotional mehrfach für mich selbst reflektiert, und ich habe bereits mehrere Nahtoderfahrungen hinter mich gebracht, die mir einen fundamentalen Eindruck von Angst vermittelt haben. Zurzeit bewegt sie mich einfach eher weniger. Dabei geht es mir gar nicht darum, die Bedeutsamkeit des Todes für unser Denken herunterzuspielen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass mir das Nachdenken über diese Unausweichlichkeit keinen Mehrwert mehr bietet.

Dennoch gelangen hin und wieder Themen in mein Bewusstsein, die sich mit den Folgen des Todes auseinandersetzen, was nachvollziehbar ist, wenn man bedenkt, dass der Tod ein unabänderlicher Fakt und einen schwerwiegenden Einschnitt darstellt. Der Tod ist das Urübel jeglicher Beziehung, weil er eine Auseinandersetzung zwischen den Individuen verunmöglicht. Er ist aber auch die Zerstörung jeglicher funktionierender sozialer Ordnung, wenn Freundschaften beispielsweise an Schuldfragen über einen möglicherweise vermeidbaren Verlust zerschellen.

Ich möchte jedoch eine andere, weniger im Vordergrund befindliche Folge untersuchen. Ich möchte verstehen, was es bedeutet, alt und allein zu sein. Wie fühlt man sich, wenn bereits ein Großteil der Freundschaften durch den Tod zerrissen wurden? Und jedes Jahr weitere über Jahrzehnte entstandene Bindungen aufgelöst werden? Bis man zum Schluss nur noch allein zurückbleibt.

Unsere Gesellschaft tabuisiert die Gefühle, die aus dem Alleinsein im Alter entstehen, weil das Leben keinen Platz für eine sterbende Generation einräumt. Sterblichkeit ist ein Makel, den die Jugend ignoriert, die Erwachsenen verdrängen, die Alten aber mit jedem Jahr und jedem Freund mehr hinnehmen müssen. Wer eine Familie besitzt, weiß sich möglicherweise geborgen, solange er dieser nicht die Zeit raubt. Wer jedoch im Leben mit seinen Freunden Erfüllung gefunden hat, muss sich die Frage stellen, wie er mit dem Ende umgeht, wenn er nicht zu denjenigen gehört, die als erstes sterben.

Der Tod eines wichtigen Menschen gehört dabei zu den schwierigsten Erlebnissen im Leben eines Menschen, für mich persönlich ist er das schwierigste Erlebnis. Zu wissen, dass die Eigenheiten für immer verloren sind, dass der Mensch, der dich zum Lachen gebracht hat, zum Weinen, der deine Geheimnisse für sich behalten und mit Rat zur Seite gestanden hat, sich nie wieder auf deinen Unsinn einlassen wird, das ist zu viel für eine unvorbereitete Psyche.

Ein Menschenleben ist so verdammt kurz. Heute sehen wir uns noch als diese Kinder von damals, die in den 1990ern mit dem Gameboy oder mit Lego oder mit Puppen gespielt haben, morgen sind wir bereits aus dem Studium raus und übermorgen befinden wir uns schon an der Grenze zum Ruhestand. Und natürlich werden wir noch hart getroffen werden, sehr hart. Härter als uns das lieb ist. Unsere Großeltern sterben weg, unsere Eltern, unsere Freunde, unsere Partner und dann wir selbst. Wenn wir Pech haben, werden wir uns in der Zwischenzeit mit der Frage quälen, warum wir all diese Zeit überleben, während die anderen alle sterben müssen. Wenn wir Glück haben, leben wir einfach und genießen jeden Augenblick, den wir mit der Vielzahl der Menschen, die uns umgeben, teilen können.

Ich habe Jan Böhmermann singen gehört und am Ende habe ich geweint

Julius hat einen Text über den Gott der Medienkritik geschrieben! Und wir hören zu! Alle jetzt.


Menschen die Internet haben, kennen das: Jemand schickt dir einen Link für ein Video. Kommentarlos, lediglich ein Smiley verziert die kryptische Buchstabenkette. Du musst schon draufklicken, um herauszufinden, was dein „Kumpel“ so witzig findet. Das kann von einem würgreiz-erzeugenden, niedlichen Katzenbaby bis zu einem sympathischen Psychopathen, der sich genüsslich ein leicht zerbrechliches Gurkenglas rektal einführt, so ziemlich alles sein. Wenn dein Umfeld jedoch zum größten Teil aus Studenten und Medienfuzzis besteht, deren Kampfruf „Political Correctness JETZT“ ist, ist die Chance ungemein höher, dass du den neusten Clip eines gewissen Jan Böhmerman sehen darfst. Ja genau, der dusslig-quatschende Side-Kick von Harald Schmidt! Der zusammen mit Charlotte Roche eine Talk-Sendung in den Sand setzte, dann den Grimme Preis für sein despotisch geführtes Neo Magazin ergaunerte, seit über zwei Jahren jeden Sonntag mit Olli Schulz eine Radiosendung hat und mittlerweile bundesweit Hörer von sieben Sendern ihr Radio für zwei Stunden ausschalten lässt.
Jetzt aber mal ehrlich, der Typ ist ziemlich genial. Das weiß jeder, der sich das letze Jahr nicht grenzdebil sabbernd vor die Glotze gesetzt hat, um RTL zu gucken. Verdammt, selbst dann hast du den Typen gesehen. Zwar nur zweimal, aber immerhin: Böhmermann ist überall. Unter dem alles abschirmenden Mantel der Ironie redet der geborene Bremen-Vegesacker mit schnalzender Tourette-Zunge in nicht enden wollenden Sätzen und erobert so die Herzen der selbsternannten Intellektuellen. Immer dann, wenn er seine Kunst, aus dem Nichts einen unterhaltsamen Redeschwall zu generieren, mit Musik verbindet, scharren 300 spartanische Krieger missmütig mit den Füßen, weil ihnen die Epicness-Keule aus den Händen gerissen wurde. Derjenige, der bei der „Hymne auf die 90er“ keine Gänsehaut hatte, soll den ersten Stein werfen. Auf seine Eltern, weil da bei der Erziehung etwas verflucht falsch gelaufen ist.
Um dem Lassi-trinkenden ZDF Neo-Publikum mitzuteilen, dass die Sommerpause vorbei und seine Show wieder da ist, hätte ein kurzer, aber informativer 10-Sekünder gereicht. Aber nicht doch mit einem Grimmepreisträger, einem Nominierten des Deutschen Fernsehpreises, nicht doch mit Jan Böhmermann! Er nutzt den Aufwind seines Ruhmes, um ein dreieinhalb Minuten langes Musikvideo zu drehen und einen Song darüber zu schreiben, dass er endlich zurück ist. So wie Tokio Hotel. Während die glibberige Performance der Kaulitzer hoffnungslos unbeachtet nach monsunartigen Tränengüssen giert und dabei junge Frauen schaudernd an ihre Teeniezeit erinnern lässt, macht Meta-Böhmermann einfach alles richtig: Ein witziger Text, stilsicher kopierte Bilder und ein Sinn für clevere Details. Allerdings würde die Parodie niemals so gut funktionieren, wenn er nicht über eine überraschend gute Gesangsstimme verfügen würde. Denn selbst wenn der Text es inhaltlich mit den Zehn Geboten aufnehmen könnte, will niemand über drei Minuten jaulendes Gejaule hören.
Musik mit komödiantischen Inhalten zu verbinden, ist ganz sicher keine besonders originelle Idee. Frag mal Otto Walkes. Leider sind eben nur sehr wenige Künstler feinfühlig genug, sowohl einen guten Song aufzunehmen, als auch die stimmige Menge an Humor einfließen zu lassen. Frag mal Otto Walkes. Böhmermann gelingt das mal eben mit einem Einspieler im Musikvideo-Gewand. In Zeiten, in denen wir ein YouTube-Video nach kurzer Zeit aufmerksamsdefizitär wegzuklicken, weil es eben auch so viel Scheiße gibt, ist eine solche Kunst pures Gold.
Jawohl, Böhmermann ist zurück und wird uns wieder glänzend auf dem Spartensender unterhalten. Oder eher auf YouTube, weil uns wieder jemand einen Link mit einem Smiley schickt.

Grenzenlos

Habt ihr euch schon einmal vorgestellt, in einer größeren Wohnung zu leben? Oder in einem größeren Haus? Habt ihr darüber nachgedacht, dass es eigentlich ganz cool wäre, wenn die Eisenbahn nicht jeden Tag am Balkon vorbeifahren würde, oder dass der Kinderspielplatz ruhig noch einen Block hätte weiter hinten sein können? Nein, dann gehört ihr zu den glücklichen Menschen, die ein Zuhause gefunden haben, mit dem sie möglicherweise zufrieden sind. Aber was bedeutet das überhaupt?

In unserem Alltag sind wir meist sehr stark darauf konzentriert, Probleme und Bedürfnisse wahrzunehmen, die uns direkt berühren. Wenn wir Hunger haben, dann essen wir etwas. Wenn wir Schmerzen spüren, dann versuchen wir sie loszuwerden. Meist vergessen wir aber, dass wir keine allumfassende Wahrnehmung besitzen und wir deshalb auch nicht immer alles erkennen können, was uns vielleicht stört. Diese unbewussten Störungen sind es, die uns mehr prägen, als uns das vielleicht lieb ist, weil unser Bewusstsein sie nicht in die Finger bekommt und wir deshalb in ihrer Gegenwart automatisch handeln, anstatt darüber nachzudenken.

Schließen wir die Fenster, wenn uns die Kinder auf dem Spielplatz stören, dann überlegen wir vielleicht nicht, wie wir das Problem in Zukunft vermeiden wollen, sondern wir nehmen es hin, weil unser Bewusstsein dieses Erlebnis nicht als etwas Dramatisches ansieht. Wenn wir allerdings darüber nachdenken, ob uns die Wohnung gefällt, bleibt dieses Gefühl von Unruhe erhalten und wir können nicht ganz einschätzen, woher unser Unbehagen kommt, weil unsere Wahrnehmung den Lärm gar nicht als etwas Problematisches an uns herangetragen hat.

Wir bekommen ein Gefühl von unserer Wohnung, das uns in unserem Inneren verfolgt. Manchmal wird es uns schleierhaft bewusst, wenn wir nach Hause kommen und uns trotzdem nicht beruhigen können. Manchmal werden wir von anderen darauf angesprochen, weil wir selbst die Unruhe bereits durch unsere tägliche Konfrontation ausgeblendet haben. Doch das eigentliche Problem ist nicht, dass uns diese Störfaktoren nicht sofort bewusst werden, sondern dass sie über die Zeit hinweg zu einem Bestandteil unserer Persönlichkeit werden. Wir passen uns an. Wir leben mit diesen Problemen, weil sie uns nicht auffallen. Und irgendwann sind wir selbst diese Probleme.

Ich sehe Wohnungen als erweiterten Teil der Persönlichkeit. Und als Menschen sind wir anfällig gegenüber den Einflüssen unserer Umgebung. Wenn uns etwas an unserem Wohnort stört, werden wir es verändern oder es wird uns verändern. Daraus ergeben sich für mich beispielsweise auch Fragen wie diese: Wenn unsere Wohnungen größer sind, macht es uns etwas aus, längere Wege zurückzulegen? Wenn wir im Dachgeschoss wohnen und schräge Wände haben, beeinflusst das unsere Vorstellung von Ordnung und Ruhe?

Dadurch dass wir unsere Umgebung in den meisten Fällen nicht so gestalten können, wie wir es gern hätten, tragen wir meiner Ansicht nach immer einen Konflikt mit uns selbst aus. Und dieser Konflikt bestimmt letztendlich darüber, was wir für eine Person sein werden. Das Interessante daran ist aber: Dieser Konflikt muss uns nicht einmal bewusst sein. Er belastet möglicherweise unseren Alltag. Und wir bemerken ihn nur in diesen kleinen Gefühlsregungen, wenn wir wieder einmal das Fenster schließen, weil ein Zug vorbeifährt und wir vom Lärm betroffen sind.