Wohnzimmerregal: Gran Torino (2008)

Ich möchte gesondert erwähnen, dass Clint Eastwood bei diesem Film auch Regie geführt hat. Das mag für viele keine Neuigkeit mehr darstellen, aber für mich war es das zu der Zeit. Ich habe ihn als Action-Held kennengelernt, dann als Waffenfanatiker und dann als Regisseur ruhigerer Dramen. Irgendwie nicht ganz schlüssig.

Was mich allerdings überzeugt, sind die Stereotypen, die in diesem Film niemals platt wirken. Obwohl kaum etwas gesagt wird, hat man das Gefühl, als könne man sich in diesen alten Kriegsveteranen Walt hineinversetzen, wie er seine Frau verliert, seine Familie ihn vernachlässigt und seine asiatischen Nachbarn ihn anscheinend in seinem amerikanischen Traum stören.

Wir haben einen gebrochenen Charakter, dessen wertvollster Besitz ein alter Ford Gran Torino ist, der nun auch noch von dem asiatischen Nachbarsjungen Thao geklaut werden soll. Walt schnappt den Jungen, woraufhin ihn seine Familie bei Walt Wiedergutmachung leisten lässt. Zunächst scheint Walt nicht so wirklich etwas mit Thao anfangen zu können, es entwickelt sich aber über die Zeit eine tiefgehendere Beziehung, bei der sich Walt darum kümmert, dass Thao eine Arbeit bekommt und vor der im Viertel verhassten Gang beschützt wird.

Der Film ist für mich so etwas Besonderes, weil er auf eine ganz einfache Weise zeigt, wie sich Vorurteile auflösen lassen: indem man sich kennenlernt. Und natürlich erscheint die Glorifizierung amerikanischer Werte fragwürdig, und natürlich fragt man sich, ob Gewalt die richtige Methode ist, um sich durchzusetzen. Ich nehme dem Film aber ab, dass Walt sein Bestes unternimmt, um sich zu läutern und anderen zu helfen.

Wohnzimmerregal: Thank You For Smoking (2005)

Ich habe mich in diesen Film verliebt, weil er es geschafft hat, eine spannende Geschichte nur mit klugen Wortwechseln zu erzählen. Es geht um einen Lobbyisten der Tabakindustrie, dessen Alltag und Kampagnenleben dargestellt wird.

Es wird gezeigt, wie er mit seinem Umfeld umgeht und wie er versucht, es zu manipulieren. So gibt es zum Beispiel eine Szene, bei der er in der Berufsvorstellungsrunde der Klasse seines Sohns die Kinder davon überzeugen möchte, dass Zigaretten doch gar nicht so schlimm sind, wie immer gesagt wird.

Das Interessante dabei ist, dass er die ganze Zeit über sympathisch bleibt. Dieser Gegensatz hat mir vordergründig zwei Dinge deutlich gemacht: 1. Sympathische Personen haben einen großen Einfluss darauf, was wir als richtig oder falsch ansehen. 2. Man sollte immer alle Argumente ernstnehmen und jegliche Folgen durchgehen, um sich so wenig wie möglich beeinflussen zu lassen.

Ängste

Palmen wehen im Wind. 35 Grad. Alcúdia, Mallorca. Die Straßenlaternen sind bereits angegangen, aber das Himmelblau ist noch nicht ganz von der Nacht verschluckt worden. Ich halte die Hand meines Vaters in der Menschenmenge. Alles ist so groß. Ich kann kaum Schritt halten. Wir sind auf dem Weg zum Hotel. Läden ziehen an uns vorbei, Kleiderberge türmen sich vor uns auf. Wir werden zur Seite gedrängt, laufen langsamer weiter. Doch die Hand meines Vaters hat sich gelöst.
Ich schaue nach links. Meine Familie ist verschwunden. Ich schaue mich um. Nichts von ihnen zu sehen. Mein Herz rast. Die Straßen sind überfüllt. Weiß ich überhaupt, wo sich unser Hotel befindet? Ich bin doch bisher immer nur meinem Vater gefolgt. Was soll ich jetzt tun? Ich drehe mich erneut um und renne den Weg zurück. Mit fünf Jahren erlebe ich zum ersten Mal ein bewusstes Gefühl von Hilflosigkeit.

Ängste sind ein fester Bestandteil des Lebens, ein Unwohlsein, eine Unsicherheit, unser unnachgiebiger Antagonist. Als Kinder personifizieren wir sie, geben ihnen feste Formen, um etwas gegen sie unternehmen zu können. Als Erwachsene wissen wir, dass Ängste noch sehr viel perfider sein können, denn sie konfrontieren uns mit unseren Schwächen. Sie sind unsichtbare Monster. Sie nutzen ihre Zeit im Unterbewusstsein, wenn wir abwesend sind und mit unserem Alltag zu tun haben. Und sie nutzen ihre Zeit gut.
Aus einer kleinen Ungenauigkeit folgt der Zweifel an den eigenen Fähigkeiten. Aus einem winzigen Knick im Handeln unserer Liebsten erlangen wir Zuversicht über ihre Gefühle uns gegenüber. Sie wollen uns verlassen. Bestimmt. Wie könnten sie uns auch jemals wirklich gemocht haben? Sie spielen uns doch die ganze Zeit schon etwas vor, oder nicht? Als Erwachsene spüren wir, dass etwas nicht stimmt, aber wir vernachlässigen, uns diesem Zustand zu stellen.
Aus diesem Grund möchte ich mich mit Ängsten beschäftigen, die uns alle betreffen. Und ich möchte versuchen, sie klar zu benennen, damit wir uns gegen sie erheben und sie überwinden können. Zwar können wir sie niemals vollständig besiegen, aber wir können uns bewusst machen, dass sie nur einen kleinen Teil unseres Lebens ausmachen. Und dieses Bewusstsein ist unglaublich viel wert.
Keine Zurückhaltung mehr: Die Angst davor, von anderen allein gelassen, nicht eingeladen, nicht beachtet, nicht verstanden, nicht gemocht zu werden. Es ist ein Freitagabend, wir sitzen in unseren Zimmern, stöbern gerade durch das Internet und vertreiben unsere Zeit mit Bildern auf 9GAG. Es ist ein guter Abend. Doch plötzlich schauen wir auf die Zeit, es ist 21:04 Uhr, und es fangen die Fragen an: Was machen eigentlich meine Freunde? Warum sitze ich hier nur herum? Sollte ich nicht draußen sein und Spaß haben? Warum bin ich allein?

Wir rufen unsere Freunde an. Es klingelt, aber niemand geht ran. Besetzt. Uns erreicht eine Nachricht. Tut mir leid, heute Abend geht nichts. Alles klar. Nächster: Bin total geschafft. Nächster: Bin gerade nicht in der Stadt. Blah, blah, blah. Uns beschleicht das Gefühl, dass das alles nicht richtig ist. Was passiert hier? Warum hat niemand Lust, etwas mit uns zu unternehmen? Waren die Leute ehrlich zu uns, oder haben wir Schuld?

Wir denken nicht darüber nach, dass Menschen zu unterschiedlichen Zeiten, bestimmte Gefühle haben. Wenn wir uns einsam fühlen, dann müssen sich doch all unsere Freunde und unser Partner zur selben Zeit auch einsam fühlen! Und wenn sie sich nicht einsam fühlen, dann stimmt anscheinend etwas mit uns nicht. Sie fühlen nichts mehr für uns. Das ist die einzige mögliche Erklärung, oder nicht?

Nein. Angst vor dem sozialen Ausschluss, vor dem Nichtgehörtwerden, vor dem Alleinsein ist nichts Besonderes. Und es ist auch nichts, was unbedingt von anderen Menschen ausgeht. Natürlich kann es sein, dass man ausgeschlossen wird und natürlich kann es sein, dass man seine Zeit häufig allein verbringt. Aber es liegt an uns selbst, diesen Zustand als etwas Besonderes wahrzunehmen. Wir bestimmen darüber, mit wem wir zu tun haben. Wir bestimmen darüber, was wir tun wollen.

Und wenn wir ehrlich sind, dann brauchen wir häufig auch diese Zeit nur für uns, wo keiner dumme Sprüche macht, wo wir im Bett liegen und lesen, ohne dass jemand uns ständig fragt, ob wir Lust haben, heute Party zu machen. Wir genießen diese Zeit. Wir kommen von Arbeit, schauen eine Serie oder ein Let’s Play, um runter zu kommen. Wir sind die meiste Zeit nicht allein, weil wir ausgeschlossen werden. Wir sind die meiste Zeit allein, weil wir es als zu anstrengend empfinden, ständig mit Menschen zusammen zu sein, die andere Vorstellungen davon haben, wie das Leben funktioniert.

Und wenn uns bewusst wird, dass das nicht nur uns betrifft, dann haben wir vielleicht weniger Schwierigkeiten damit, mit unserer Einsamkeit umzugehen. Es ist 21:44 Uhr. Wenn heute schon nichts mehr geht, dann können wir ja wenigstens an dem einen Projekt arbeiten, das wir schon seit Ewigkeiten aufgeschoben haben. Das ist gut für unser Selbstbewusstsein und wir schaffen endlich das, was wir uns vornehmen.

Zwei Stunden später. Wir haben nichts gemacht. Und wir sind im nächsten Tief: Die Angst davor, etwas nicht zu schaffen, was man sich vorgenommen hat, etwas nie schaffen zu können, andere zu enttäuschen, sich selbst zu enttäuschen, nichts verändern zu können, nichts erreichen zu können. Das Studium sollte uns erst einmal eine Basis geben, weiter darüber nachzudenken, was wir eigentlich mit unserem Leben anstellen wollen. Nachdem es die Schule phänomenal vergeigt hat, uns eine klare Vorstellung davon zu geben, wohin wir mit unseren Ideen gehen sollen, schien das Studium der nächstbeste Anlaufpunkt.

Doch jetzt sind wir im fünften Semester. Eigentlich haben wir nichts wirklich gelernt, außer dass wir ein paar neue Namen kennengelernt haben, die wir uns gegenseitig an den Kopf werfen können. Aber nun gut. Das Studium ist ja nur der Zwang, damit wir herausfinden, was wir eigentlich wollen. Unsere eigentliche Leidenschaft liegt in unseren Hobbys. Wir komponieren Musik, drehen Filme, schreiben seit Ewigkeiten an unserem ersten Roman, entwickeln diese eine App, die das Leben aller Smartphone-Besitzer für immer verändern wird. Das Übliche.

Aber selbst nach zwei Jahren ist immer noch nichts so weit, dass wir es anderen zeigen möchten. Wir sind geschafft. Eigentlich müsste doch mindestens ein kleines Bisschen vorhanden sein, das unsere Motivation retten kann? Doch nach den zwei Stunden wird uns klar, dass wir eigentlich immer noch zu wenig wissen. Wir wissen, was Kunst ist, und das, was wir da abliefern, das ist es nicht.

Wir haben das Gefühl, dass wir unsere Zeit verschwendet haben, dass wir eigentlich zu Größerem berufen waren, aber irgendwann den Einsatz verpasst haben. Wir hätten uns viel intensiver mit den Ideen beschäftigen sollen, viel mehr üben und experimentieren müssen. Aber zum Schluss haben wir zu wenig getan. Und jetzt sitzen wir hier und denken darüber nach, was wir eigentlich noch mit unserem Leben anfangen wollen, nachdem wir alles weggeworfen haben, wofür wir in unserer Jugend gekämpft haben.

Oder spielt das absolut keine Rolle? Es ist vollkommen egal, wie häufig wir scheitern oder wie häufig wir etwas hinbekommen, denn wir werden niemals wirklich zufrieden sein, solange wir uns mit dem Zählen beschäftigen. Menschen lernen über direktes Versagen, indem sie ihr Verhalten anpassen und dadurch die Ergebnisse verbessern. Menschen hören nicht einfach damit auf, wenn es nicht funktioniert, denn es gibt keine Alternative zum Glücklichsein.

Lasst uns das Gefühl begraben, dass wir etwas erreichen müssen und geben wir uns der Tätigkeit für sich hin. Lasst uns Ziele setzen, bei denen wir uns nicht selbst enttäuschen können! Wir müssen etwas nicht schnell fertig bekommen. Wir müssen am Ende einfach nur damit zufrieden sein. Wir müssen niemandem beweisen, was wir können. Wir sind niemandem Rechenschaft schuldig.

03:14 Uhr. Wir erwachen aus einem unruhigen Schlaf. Bilder aus unserer Vergangenheit kommen uns in den Sinn. Der Regen prescht gegen die Fenster. Die Schatten wechseln an der Wand. Wir können glücklich sein. Wir können allein sein. Doch letztendlich beunruhigt uns etwas, das sich lange versteckt gehalten hat. Unser Stress hat uns davor bewahrt, uns intensiver damit zu beschäftigen. Freunde und Arbeit haben sie verborgen: Die Angst davor, dass trotz allem, trotz all der Schönheit auf dieser Welt, alles egal ist. Die Angst davor, dass wir alle sterben werden.

Wem machen wir etwas vor? Wir wissen alle, dass es keine Bestimmung für uns gibt. Es sind schöne Geschichten, die wir uns selbst erzählen, wenn wir davon ausgehen, dass es unsere Aufgabe ist, dies oder das zu erreichen. Aber selbst wenn wir es erreicht haben, was kommt danach? All unsere Anstrengungen im Leben, all unsere Bedürfnisse, jegliche Liebe, wofür? Warum stehen wir jeden Morgen auf? Was unterscheidet ein glückliches Leben von einem unglücklichen?

Wir sind doch nichts weiter als Sklaven einer Natur, die uns vorspielt, dass Glück ein wertvolles und erreichbares Gut ist. Doch hinter wie vielen Fassaden steckt die Unzufriedenheit, der Mangel und die daraus entstandene Wut? Welche Menschen kennen wir denn, die wirklich glücklich sind, die wirklich mit dem zufrieden sind, was sie haben? Und selbst wenn, steckt dahinter nicht immer noch nur eine Illusion, die diese Menschen daran hindert, eben den wahren boshaften Kern des Lebens zu erkennen: dass es eben nichts Böses gibt und nichts Gutes, dass alles, wenn wir nur den Zeitraum groß genug ansetzen, vollkommen belanglos wird? Wir sterben doch sowieso irgendwann und es ist vorbei. Warum den Tod hinauszögern? Warum Angst vor dem Tod und Angst vor der Sinnlosigkeit des Lebens haben? Das ist doch paradox.

Ich renne durch die Menschenmenge und suche meine Familie. Suchen sie mich nicht? Mir kommt es so vor, als wäre ich schon Stunden unterwegs. Ich bleibe stehen, Tränen fließen meine Wangen hinunter. Ich verliere mich in immer fantasievolleren Ängsten. Wie konnte das nur passieren? Ich bin doch auch nur ein Mensch.

Doch plötzlich sehe ich meinen Vater. Er stürmt durch die Menge. Ich renne los und nach wenigen Sekunden sind wir wieder zusammen. Wir waren nur wenige Augenblicke voneinander getrennt, aber es war so ein unfassbares Gefühl der Wärme, ihn wieder in den Arm nehmen zu können, sein Herz zu hören. Wenn wir Angst haben, begrenzen wir unsere Wahrnehmung auf die Dinge, die uns verletzen können und blenden die Dinge aus, die weiterhin um uns herum passieren. Dieser Moment mit meinen Eltern, diese Umarmung, war alles für mich, so wie zuvor die Angst alles für mich gewesen ist. Lasst uns also versuchen, die Umarmungen willkommen zu heißen und die Ängste beiseite zu legen!

Zurückmeldung

So, um hier mal Henry’s Monologe zu unterbrechen und mal wieder auf mich aufmerksam zu machen, kommt mal wieder ein Post von mir.
Wie in einem meiner – von anderen ungelesenen – Kommentare angedeutet, möchte ich mal wieder etwas mehr in die Blogger-Szene einsteigen. Ich habe dafür auch schon eine schöne Geschichte in meinem Kopf. Aber eben auch nur dort. Sie ist noch nicht durch die Finger in die Tastatur gewandert.

Um die Wartezeit zu überbrücken, habe ich in meiner alten Artikelsammlung gekramt und mir ist ein bisher unveröffentlichter Artikel in die Hände geflutscht, der mir ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Keine Ahnung warum. Vielleicht weil ich Recht hatte. Lest selbst.
Der Text ist vom 01. Dezember 2011!!!


Damals…

Wie sehr regt ihr euch zurzeit auf? Ich meine so über die Welt. Was stinkt euch an? Ist es vielleicht E10 oder die Näcktscenner an Flughäfen, sicherlich Google’s Streetview oder der neue, sichere Ausweis.. Aber halt! Da war ja noch die Ausweisung von Sinti und Roma aus Frankreich, Ungarn’s Rechtsruck mit staatlich kontrollierten Medien und Wikileaks und war nicht auch was mit Tibet und China.
Man oh man. Geht ganz schön was ab. Das wird die Welt nachhaltig verändern. Da bin ich sicher.
Früher hatte ich immer das Gefühl, dass sich jetzt was ändern wird., was ändern muss Wie hätten sich die Verursacher je wieder ins rechte Licht rücken können? Mittlerweile bin ich etwas abgestumpft. Viel wurde diskutiert, was ich auch absolut für notwendig halte, manchmal auch einiges bewirkt, aber letztendlich, hat es die Welt wenig bewegt. Ich hatte echt erwartet, dass die Leute die Regierung und Tankstellenbetreiber zwingen können, Garantien auf E10-Verträglichkeit zu geben. Oder das man mit China bzw. Frankreich und Ungarn ein ernsthaftes Wort redet. Ich gebe zu, ich habe selbst nicht viel Ahnung, was aus den meisten dieser Dinge geworden ist. Aber letztendlich sind sie mehr oder minder verpufft. In meinem Kopf und in den Nachrichten. Auf einiges kann man natürlich verzichten. Zum Beispiel als der Korea-Konflikt durch Militärübungen wieder zu eskalieren drohte. Da kann man froh sein, dass ein wenig Gras über die Sache gewachsen ist. Es gibt aber auch Dinge, die kommen wieder. 2 Jahre nach seinem Tod ist Michaels Jackson’s Leibarzt verurteilt worden. Nach 100 Montagsdemos ist eine Entscheidung zu Stuttgart 21 gefallen. Ein paar Monate nach seinem Rücktritt lästert zu Guttenberg über die deutsche Politik. Und Atommüllbehälter sind bis jetzt auch immer wieder gekommen.
Sicherlich spielen dabei die Medien eine Rolle. Aber mal ehrlich, wie lange könnt ihr ein und dasselbe Thema in den Nachrichten hören, ohne das euch langweilig wird? Es sei denn es sind News, die euch direkt und hochgradig betreffen. Sind wir schon abgestumpft? Ist es gut für uns, ständig neuen Gesprächsstoff zu haben, ohne den alten richtig durchgekaut zu haben? Letztendlich wird sich die Welt nur wenig dadurch bewegen. Nicht einmal die globalen Banken-, Finanz-, Wirtschafts- und Staatskrisen bewegen – in meinen Augen – genug.
Also blicke ich ein wenig ruhiger auf die Situation im Nahen Osten. Wie wahrscheinlich ist es schon, dass sich aus einem möglichem Israel-Iran-Krieg ein 3. Weltkrieg entwickelt…?

Aber Moment mal: hat nicht auch die Naturkatastrophe in Japan zu einem enormen Umdenken geführt…


Ist das ein Comic?

Vergangenen Freitag habe ich an einem Vortrag über Comics teilgenommen. Dort wurde gefragt, wann wir eigentlich von einem Comic sprechen und was diesen besonders kennzeichnet. In der Diskussion wurden unterschiedliche Definitionen angesprochen. So wird der Comic beispielsweise zu einer erzählenden Bildfolge, einer räumlichen Sequenz von Bildern oder zu einer Bildgeschichte. Doch wir streifen nur die Oberfläche visueller Kunst. 
Ist das ein Comic?

Die Frage, die mich am meisten beschäftigt, ist die, ob wir überhaupt eine gesonderte Auseinandersetzung mit Comics benötigen? Comics sind großartig darin, die Lücken zwischen wahrgenommenen Inhalten durch ihre Form sichtbar zu machen. Sie schaffen Abstand zwischen den Teilen der Wirklichkeit und ermöglichen durch die Fähigkeiten von Einzelbildern eine Vermittlung von Informationen, die dem Rhythmus des Lesers folgen. Aber dabei bedienen sie sich lediglich bei den Mitteln der Dekonstruktion der Wirklichkeit und den Formen von Einzelbildern.

Mir fällt es sehr schwer, einen Comic von einem Einzelbild zu unterscheiden, denn das, was uns als Comic präsentiert wird, vielleicht in Panels aufgeteilt, ist letztendlich ebenfalls nur eine visuelle Erfahrung. Comics machen die Grenzen der Einzelwahrnehmung etwas deutlicher, aber mehr auch nicht. Und jetzt stellt sich für mich die Frage, weshalb die Grenzziehung als eigenes analytisches Medium aufgefasst werden muss. Können wir uns nicht darauf konzentrieren, visuelle, narratologische und rhetorische Aspekte als virtuelle Verbindung zu analysieren, ohne gleich davon auszugehen, dass es sich bei dieser Verbindung um ein vollkommen neues Medium mit neuen Werkzeugen handelt? Das ist die erste Frage, die ich mir in diesem Zusammenhang stelle.

Die andere Frage ist viel umfassender: Ist Literatur nur eine besondere Form des Comics? Die Frage ist mir gekommen, als ich darüber nachgedacht habe, in welcher Weise sich beispielsweise Hieroglyphen, die chinesische Schrift oder die Keilschrift von frühen Bildergeschichten abheben? Und es gibt meines Erachtens nach kein gutes Abgrenzungsmerkmal. So könnte man davon ausgehen, dass ägyptische Hieroglyphen ebenso Comics sind, wie die Höhlenmalereien der Cro-Magnon-Menschen.

Aber weiter gedacht erscheint es mir interessant, in welcher Weise sich beispielsweise die lateinische Schrift von Comics abgrenzt? Und auch dort sehe ich nicht wirklich ein gutes Abgrenzungsmerkmal. Zwar besitzen einzelne Buchstaben für sich genommen zwar keine bildliche Bedeutung mehr. Aber sie bekommen Bedeutung durch ihren Kontext. Dasselbe gilt aber auch für einen einzelnen Punkt oder einen einzelnen Strich eines Bildes.

Häufig wird sich darüber lustig gemacht, dass Comics keine richtige Literatur sind. Aber vielleicht sollte man eher davon ausgehen, dass Literatur keine gut gemachten Comics sind, da Bildfolgen wesentlich länger bestehen.

Zehn Songs von Eins Zwo, die man gehört haben sollte.

Neo Magazin Royale ist die TV-Sendung der Stunde im deutschen Fernsehen. Das liegt natürlich hauptsächlich an Jan Böhmermann und der Redaktion, die immer wieder originelle Ideen haben, die oft aufklärerischen oder popkulturellen, aber sicherlich immer einen pointierten Charakter haben und damit eine kleine Revolution innerhalb der doch recht festgefahrenen Televisionsmaschinerie darstellen. Einen kleinen Teil trägt hierzu auch der musikalische Leiter der Sendung, Dendemann bei, der zusammen mit der Show- und Hausband „Freie Radikale“ zwischen den Aktionen kleine Perlen der Musikunterhaltung liefert. In seinen Texten bereitet er dabei hochkreativ ein Thema der vergangenen Woche auf und rappt dabei so locker über die Beats, dass es nicht nur zum Nachdenken und Zuhören, sondern auch zum Kopfnicken anregt.

Das Dendemann schon ein alter Hase im Rap ist, weiß eine neue Generation von Raphörern vielleicht gar nicht mehr. Deswegen will ich hier ein paar Perlen seiner früheren Gruppe Eins Zwo auflisten, die die viel beweinte Golden Era des Ende Neunziger / Anfang 2000er Deutschrap stark geprägt und nach vorne gebracht hat. Dendemann gilt als einer der besten Techniker in Sachen Reimen, erzählte ganz eigene Storys und transportierte eine gelassene Weltansicht, die sich durch gute Flows schnell auf den Hörer übertrugen. Er war dabei der einzige Rapper der Gruppe, die außer ihm noch aus DJ Rabauke, der vorher DJ bei Fettes Brot war, bestand. Hier zehn Songs der Gruppe, die man bei intensivem Anhören als wahre Diamanten erkennen wird.

10. Ich so, Er so

Von der „Sport EP“, das als Demo verschickt und später überarbeitet auf den Markt gebracht wurde. Ein Song, der heute als der Klassiker schlechthin von der Band gilt. Ich mag ihn selbst nicht so unbedingt, weil der Flow noch etwas holprig ist und es so schwer wird, der eigentlich genialen Story zu folgen. Der Beat ist auch sehr minimal und etwas gewöhnungsbedürftig. Aber die wunderbaren Wortspiele und der Hang zu bisher ungehörten eigenen Geschichten von Dendemann werden auch hier schon sichtbar.

09. Hand aufs Herz

Heute auch ein Klassiker. Nicht zuletzt wegen dem Video, dass die Talkshowkultur in den USA parodiert. Auf den Song wurde sowohl in der Rap-History von Böhmermann und Dendemann zusammen mit Anke Engelke, als auch in verschiedensten anderen Rapsongs referenziert. Sehr cooler Beat, Torch- Cuts und einprägsame Zeilen. Der Song stammt von ihrem heute wie damals viel beachteten Werk „Gefährliches Halbwissen“, welches als Instant Classic gilt.

08. Schön, daß es euch gibt

Einer der großen Storyteller von Eins Zwo. Dendemann im Rap-Altenheim, vergessen von den großen Helden wie Max Herre, Smudo oder Afrob. Dahinter versteckt sich eine Huldigung vor der damaligen Rapszene, leise Selbstzweifel und ein Hang zur Selbstironie. Man sehnt sich nach alten Zeiten und ist froh, dieses Stück hören zu können, das die Stimmung der Zeit bestens einfängt. 

07. Undsoweiter

Ein Song mit „Kopf Hoch Bruda“ Message. Aber hier wird nicht in Selbstmitleid versunken, sondern dem Zuhörer sowohl im Text als auch im Beat in den Arsch getreten, um auf seiner Suche nach Lebenssinn voranzukommen. Immer locker und mit Wortwitz. Super Motivationssong. Vom zweiten und letzten, von Jazz-Samples durchtränkten Album „Zwei“ aus dem Jahr 2001.

06. Rechte Dritter

Rap ist voll mit Zitaten und Samples. Darum wird der Kultur manchmal Klauerei vorgeworfen und das kann auch rechtliche Konsequenzen haben. Das es aber kein plumpes Recycylen von bereits erfolgreichen Songs bedeuten muss, sondern der Künstler dadurch seinen eigenen Charakter besser darstellen kann, seine Einflüsse zeigt und mit seinen eigenen Stilen verknüpft, stellt Dendemann hier klar. 

05. Unschuld vom Lande


Einer der persönlichsten Songs von Eins Zwo und Dendemann, wo er sehr unverblümt über seine Situation spricht, auf einem wunderbar verträumten melacholischen Instrumental. Ein junger Typ, der im Zug sitzt und von seiner Heimat spricht, die ihm fremder wird. Immer am Pendeln zwischen Heimat und Musikerkarriere, alte Freunde und neue Bekannte. Aufstrebender Rapper versus Unschuld vom Lande.

04. Schon unterwegs

Jazziges entspanntes Instrumental. Perfekt für den Sonntag Nachmittag. Dende sehnt sich nach Zweisamkeit und ist im Begriff eine nicht näher genannte Person zu besuchen um zu schnacken und Tourvideos zu gucken. Wunderbare Atmosphäre, die jedem ein Lächeln aufs Gesicht setzt.

03. Ey Du

Vor jedem Sonntag Nachmittag steht ein Samstagabend im Club, in dem man abspacken und trinken will. Doch da stören die Aggrotypen, die Stress ohne Grund machen wollen. Dende plädiert für mehr Respekt und erhebt die Stimme für alle friedfertigen vernünftigen Menschen und ein bisschen auch für die Freaks und Außenseiter. Denn dein Mittel- und mein Zeigefinger würden Peace ergeben. Dazu ein echt clubtauglicher Beat und ein stark nach vorn gehender Kehrreim.

02. Tschuldiung

Nach fünf Songs vom Album „Zwei“ ist das hier eine echte Rarität von der Vinylsingle „Weltretten 4-/ Tschuldigung“, die nur auf Tour und im Shop verkauft wurde. Meiner Meinung nach der beste Beat, den Eins Zwo sich je vorgeknöpft haben. Wunderbares Sample, sehr verträumt. Die Lyrics wieder ein bisschen komplizierter, aber auch voller Wortwitz und technisch versierten Rapskills. Ich sag schon nicht mehr Hallo. Ich sag immer erst Entschuldigung.

01. Die Oma aus dem 1. Stock

Für mich der beste Song der Band. Super Songidee, super atmosphärischer Beat und hohes raptechnisches Niveau. Der junge MC hockt trotz Touren und Studiosessions nachts allein zu Haus, ein Stockwerk über ihm wohnt eine ältere Frau. Beide leben aneinander vorbei und doch sorgt er sich um sie und sie wird nachts mit seinen Beats beschallt. Eine kleine Geschichte, die vieles offenbart. Dieser Song vereint die höchste Wort- und Beatkunst, für die Eins Zwo so geliebt wurden.

Das ist nur eine kleine Auswahl, die der Band niemals in ihrer Gänze gerecht wird. Weitere Hits sind „Technique“, “ Danke gut“, „Weltretten 4-„, “ Liebes Logbuch“, „Discjockeys“ und eigentlich jede andere lyrische Offenbarung der Band. Insbesondere von Dendemann, der auch danach und bis heute lyrische Raffinessen unter Beweis stellt, wie zur Zeit etwa bei Neo Magazin Royale.

Ich vertraue deinem Text

Wissenschaftliche Arbeit baut in großen Teilen auf den Errungenschaften früherer Überlegungen auf. Der Grund dafür ist, dass diese Errungenschaften Anknüpfungspunkte aufweisen, die dazu genutzt werden können, die eigene Forschung sowohl glaubwürdiger zu gestalten als auch sie einer bestimmten Argumentation zuzuordnen. Als Leser hat man in diesem Moment die Sicherheit, dass geäußerte Vermutungen durch mehrere Untersuchungen zustande gekommen sind und nicht einfach nur aus der Luft gegriffen werden. Das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, fassbare Ergebnisse zu liefern.

Und hier wird es schwierig. Viele unserer übergeordneten Konzepte in den Geisteswissenschaften besitzen nicht unbedingt fassbare Ergebnisse, sondern sind abstrakte Gebilde, die fassbare Ergebnisse strukturieren sollen. Thesen über die richtige Erziehung, ein angenehmes Zusammenleben in der Gruppe oder das beste politische System werden von so vielen Variablen beeinflusst, dass genaue Analysen nicht möglich sind, da sich die Ergebnisse bereits wieder verändert haben, wenn wir dazu übergehen wollen, sie anzuwenden.

Die verschiedenen Erfahrungen der Menschen sind aber auch bei der Geschichts-, Literatur- und Sprachwissenschaft dafür verantwortlich, dass unsere Vorstellungen untereinander auseinanderklaffen. Sobald eine Abstraktion ins Spiel kommt, stehen wir vor dem Problem, dass wir zu wenige oder zu viele Informationen haben, um unsere Einschätzung zu rechtfertigen. Wenn wir zu wenige Informationen von einem Thema besitzen, erscheint es fragwürdig, darüber Aussagen zu treffen. Wenn uns allerdings zu viele Informationen zur Verfügung stehen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir sie verfälschen, weil wir die Informationen möglicherweise auf eine gewisse Weise interpretieren und diese Interpretation alles andere überschattet.

Dennoch gelten Verweise auf andere Werke als Qualitätsmerkmal geisteswissenschaftlicher Arbeiten. Ich möchte das auch gar nicht so stark kritisieren. Mir ist die Wichtigkeit von Quellen bewusst und ich profitiere in den meisten Fällen davon, weil mir weitere Ansatzpunkte aufgezeigt werden. Ich weiß nur nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn ich eigene Vorstellungen entwickle, die ich nicht bestimmten Büchern, Vorträgen oder anderen Menschen zuordnen kann. Soll ich nun solange Quellen lesen, bis jemand meine eigenen Ansätze bringt, sodass ich mich dann auf diese beziehen kann? Das erscheint mir schwierig.

Mein bisheriger Ansatz besteht darin, meine Überlegungen aufzuschreiben und sie durch bereits belegte Konzepte und klar definierte Alltagserfahrungen abzusichern. Aber ist es notwendig, Quellen für die Funktionsweise der Schwerkraft oder der Evolution anzuführen? Muss ich nachweisen, dass das Mittelalter existiert hat, wenn ich es wissenschaftlich als Anknüpfungspunkt auswähle? Muss ich dann auch Quellen für Definitionen von bestimmten Wörtern anführen, oder gehe ich davon aus, dass Wörter wie Eisenbahn, Koffer oder Blumentopf nachvollziehbar sind? Das klingt lächerlich, aber das ist ein Problem, wenn man wirklich exakt arbeiten möchte. Mir erscheint es zunächst einmal nur notwendig, Nachweise anzuführen, wenn sie ein unbekannteres Konzept besprechen. Und das liegt wiederum im eigenen Ermessen. Es gibt keine genaue Trennlinie zwischen einem bekannten und einem unbekannteren Konzept.

Andererseits erscheint es mir vollkommen selbstverständlich, Quellen anzuführen, wenn diese im Erkenntnisprozess beteiligt gewesen sind. Wenn ich die Principia Mathematica von Whitehead und Russel gelesen habe und mich dann in meiner Arbeit mit Problemen daraus beschäftige, dann ist für mich klar, dass ich das Werk auch erwähne. Wenn ich dann ein anderes Werk gelesen habe, dass mir bei meiner Problemlösung geholfen hat, dann würde ich auch dieses erwähnen. Darüber muss nicht gesprochen werden.

Allerdings scheint es heutzutage der wissenschaftliche Standard zu sein, zunächst alle gelesenen fremden Erfahrungen zu einem Thema aufzuschreiben, bevor man sich dann seinen eigenen Gedanken nähert. Und ich weiß nicht, ob das gezwungenermaßen sinnvoll ist, gerade wenn wir bedenken, welchen vielfältigen Variablen einzelne Thesen ausgesetzt sind. Dazu kommt eine Vervielfachung des Textvolumens, die einen Zugang zur Thematik weiterhin erschwert. Und letztendlich ist es nicht genau nachvollziehbar, welche Nachweise nun sinnvoll angebracht sind und welche nicht.

Daraus folgt für mich, dass es notwendig ist, Texte ohne Quellenangaben ebenfalls ernstzunehmen, aber ihre Bedeutung auf Ideenvorschläge zu reduzieren. Mit ihnen können wir arbeiten, wenn wir uns daran machen, eigene Untersuchungen in die Wege zu leiten. Diese Vorarbeiten sind für mich genauso wertvoll wie die entsprechenden Untersuchungen, weil sie gerade über ihre Freiheit zukünftige Forschungswege aufzeigen können.

Darf über die Vergangenheit geweint werden?

Ich war nicht dabei. Ich bin in einem wiedervereinten, sich zwar gegenseitig argwöhnisch begutachtenden, aber dennoch freiheitsliebenden Deutschland aufgewachsen, ein Deutschland der Möglichkeiten. Ich führe ein Leben im Überfluss, besitze einen Computer, habe Zugriff zum Internet, muss nicht darüber nachdenken, wie ich mein Essen bezahle. Ich habe das unglaubliche Glück, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die nicht versteht, was Krieg bedeutet. Und trotz meiner Unwissenheit lehne ich Gewalt gegen Menschen in jeglicher Form ab. Wieso?

Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass ich die Vergangenheit nicht einfach beiseiteschieben kann. Viele Menschen leben im Jetzt und definieren sich über ihr aktuelles Umfeld. Ich kann das nicht. Ich sehe die Welt nicht im Jetzt, ich sehe sie als eine Folge von sich überschneidenden Prozessen. Und auch wenn ich einer der ersten bin, die eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für unmöglich halten, weil eine solche Interpretation immer unvollständig sein wird, so ist die Vorstellung von sich gegenseitig beeinflussenden Prozessen dennoch hilfreich, um ein Verständnis für Veränderung aufzubauen.

Wenn wir zum Beispiel etwas in der Schule lernen, haben wir häufig das Gefühl, dass irgendjemand irgendwann einmal etwas herausgefunden hat und dieses Wissen nehmen wir eben in uns selbst auf und fertig. Es verändert sich nicht. Jedoch ist das, was uns beigebracht wird, vielmehr nur ein sehr, sehr kurzer Ausschnitt von tausenden Stunden des Herumprobierens. Und bereits in dem Moment, in dem wir damit konfrontiert werden, fängt es erneut an, sich durch fehlende Genauigkeit oder neue Informationen weiterzuentwickeln.

Doch was hat das mit Gewaltlosigkeit zu tun? Nun. Es ist die Vergegenwärtigung der Vergangenheit, die mich innerlich zerreißt. Wenn ich mein Glück der Vergangenheit gegenüberstelle, wird mir plötzlich bewusst, was wir jetzt haben und was niemals wieder passieren darf. Hört ihr das? Es darf niemals wieder passieren, dass wir Kriege führen. – Und es klingt so belanglos, wenn es jetzt so in Textform dasteht. Aber es ist nicht belanglos.

Wisst ihr, wir sind alle so abgestumpft. Durch Nachrichten, die uns bereits im Kindesalter Todesmeldungen in fremden Kriegen als Alltag verkaufen. Durch Politiker, die ihr Handeln mit dem Wohl des Landes, anstatt mit dem Wohl der Menschheit begründen. Wir hören jeden Tag irgendwelche Lügen und nehmen sie hin.

Doch wenn wir das erste Mal bewusst durch ein Geschichtsbuch blättern, wenn wir die Millionen von Toten nicht mehr als Zahl in einem Buch wahrnehmen, sondern als Menschen, die sich in keiner bedeutenden Weise von uns unterschieden haben und wenn wir verstehen, was es für Grausamkeiten gab und gibt, dann weine ich. Ich war nicht dabei, aber ich weine. Ich weine, weil ich dieses Leid nicht ertragen kann. Ich weiß nicht, ob das sinnvoll ist. Niemand kann diesen Menschen mehr helfen. Aber ich weiß, dass ich dieses Leid in der heutigen Zeit nicht mehr haben möchte.

Was kommt nach der Arbeit?

Die Arbeit besitzt in unserer Gesellschaft einen unglaublich hohen Stellenwert. Sie steht für Unabhängigkeit, Verantwortung und Freiheit. Mit Arbeit ist man etwas. Mit Arbeit steuert man etwas bei, das dem Wohlergehen anderer Menschen dient. Wer keine Arbeit hat, weiß nichts mit sich anzufangen, nutzt andere Menschen aus, muss zur Arbeit erzogen werden. Niemand kann sich ihrem Einfluss erwehren, denn niemand kann es sich leisten in Armut zu leben.

Arbeit steht aber nicht nur für unser physisches Wohlergehen. Sie ist identitätsstiftend. Wenn wir versuchen, unseren Eltern nachzueifern, dann übernehmen wir ihre Fähigkeiten, ihre Äußerungen, ihren Beruf. Und sie sind stolz auf uns, weil wir ihr Leben weiterführen. Arbeit ist ein Band zwischen den Generationen.

Arbeit schafft aber auch ein Gefühl von Gebrauchtwerden. Man hat etwas zu tun, man weiß etwas mit sich anzufangen. Wer zu viel über sich selbst nachdenkt, der hat noch nie richtig gearbeitet. Alle Probleme lassen sich mit Arbeit lösen, denn Arbeit ist dazu da, unser Leben sinnvoll zu machen, es mit Spielzeug zu befüllen, unserem Nachwuchs das zu bieten, was wir selbst nie hatten.

Wen wundert es also, dass alles im Leben auf Arbeit ausgerichtet ist. Wenn wir im Kindergarten Sterne malen und die Erzieher davon sprechen, dass man Astronaut oder Wissenschaftler wird, als könne man sich nur dann für den Weltraum interessieren. Oder wenn man Spaß daran hat, Mathematikaufgaben zu lösen, und gleich von den Eltern darauf angesprochen wird, dass man doch eine Karriere als Bankier oder Fußballmanager in Betracht ziehen sollte.

Niemand hat mir gesagt, dass die Schule dazu da ist, mir etwas beizubringen. Ich dachte immer, dass sie dazu da wäre, dass ich später einen Beruf lerne, der mir Geld bringt. Ausbildungen sind lächerlich. Arbeitsjahre sind das, was zählt. So trieft es aus allen Spalten der verschiedensten Unternehmen. Man ist ein Nichts, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass man unglaubliches Leid ertragen hat.

Und während des Studiums wird man noch gefragt, was man denn damit anfangen kann, dass man Literaturwissenschaften oder Sprachwissenschaften studiert. Und damit meinen sie nicht, wie es anderen Menschen hilft oder wie man diese Fähigkeiten dazu nutzen kann, das Leben in irgendeiner Form erträglich zu machen, sondern sie fragen, weil sie sich die Sicherheit einer gut bezahlten Arbeit ersehnen. Weil sie davon ausgehen, dass das Geld ihnen die Möglichkeit gibt, sicher zu leben.

Und unsere Gesellschaft wird zwar immer schneller und schneller, aber wir denken, dass Arbeit immer genau das sein wird, wie wir es gerade erleben. Wir denken, wir müssten einen Teil unseres Lebens mit Tätigkeiten zubringen, die wir für andere tun müssen, weil wir sonst nicht an den schönen Erlebnissen teilhaben können, die uns die Gesellschaft bietet. Wir sind so sehr dieser Vorstellung aufgesessen, dass wir vergessen, dass Arbeit grundsätzlich nur dazu da ist, unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Sie war in ihrer bisherigen Ausprägung die beste Möglichkeit dafür.

Doch mit jeder Erfindung, jeder Optimierung, jeder Automatisierung machen wir unsere Arbeit ein Stück weit überflüssiger. Und das ist auch gut so, denn niemand sollte in seinem Leben dazu gezwungen werden, etwas tun zu müssen. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass er sonst auch niemandem schadet. Arbeit wird dann zu einer Tätigkeit, die wir wirklich für uns selbst tun. Wir können lernen und forschen oder nichts tun oder doch lesen oder hin und wieder reisen. Es ist uns überlassen, wie wir unser Leben gestalten.

Doch dafür ist heutzutage noch kein Platz. Heutzutage ist das Nachdenken über Arbeit wichtiger als das Nachdenken darüber, was man für ein Mensch sein möchte. Und all diejenigen, die das gut finden und für unvermeidbar halten, sollten sich fragen, ob sie sich das wirklich wünschen und ob es wirklich so unvermeidbar ist.

Es geht hier nicht um Illusionen, sondern es geht um unsere Zukunft. Jeder Wirtschaftszweig wird irgendwann einmal mit Robotern konfrontiert werden, die die bisher vom Menschen geleistete Arbeit ersetzen werden. Gleichzeitig steigt unser Lebensstandard. Jeder, der heute in den Supermarkt geht, um sich Bananen zu kaufen, lebt so gut wie ein König noch vor ein paar Hundert Jahren. Wahrscheinlich sehr viel besser. Das, was uns allerdings meiner Ansicht nach heutzutage zurückhält, sind unsere eigenen Ängste. Ängste, die dazu führen, dass wir Arbeit in ihrer jetzigen Form überbewerten, weil wir eben Angst davor haben, etwas mit unserem Leben ohne sie anzufangen.

Also: Was kommt nach der Arbeit?

Warum ich keinen Alkohol trinke.

Das ist für mich eine schwierige Frage, weil der soziale Nutzen, den Alkohol auf Beziehungen und gesellschaftliche Akzeptanz hat, einer der besten Gründe ist, sofort damit anzufangen. Außerdem sind die negativen Folgen überschaubar, und das Suchtpotenzial spielt für mich sowieso keine Rolle. Also warum verzichte ich dennoch so komplett auf Alkohol?

Ich glaube, mein bestes Argument ist folgendes: Für mich ist das Angetrunkensein heutzutage mehr oder weniger wie Karneval, ein gewolltes Verstelltsein, um gesellschaftlich tabuisiertes Verhalten ausleben zu können und dafür nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Ich möchte das jedoch nicht. Ich möchte, dass Menschen ihre Gefühle und Wünsche nicht unterdrücken müssen und diese dann nur ausleben, wenn sie davon ausgehen können, dass sie dafür nicht bestraft werden.

Für mich ist das eine Form der Verdrängung. Und Alkohol ist der gesellschaftlich akzeptierte Umgang mit diesem Problem. Anstatt sich intensiver mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, seine Bedürfnisse zu hinterfragen und sich nicht dafür zu schämen, dass man so ist, wie man sich fühlt, schaffen wir als Gesellschaft lieber verschiedene Anonymisierungen in Form von dunklen Tanzclubs, in denen wir uns nicht erkennen, einen Alkoholgenuss, damit wir für alles zugänglicher werden und laute Musik, um uns in dieser Situation nicht zu langweilen.

Als Menschen schämen wir uns für so vieles. Und ich glaube, das ist der Grund, warum ich keinen Alkohol trinke: Ich möchte mit mir selbst im Einklang stehen. Und wenn ich mich, während ich betrunken bin, mehr trauen würde, dann würde ich unzufrieden mit mir selbst sein, weil ich etwas in mir unterdrücke, das zu mir gehört und mit dem ich mich bisher nicht auseinandergesetzt habe. Aber wenn ich nun einmal, weil ich zufrieden bin, eben nichts anderes als sonst auch tun würde, dann brauche ich dementsprechend auch keinen Alkohol.

Wenn ich mir das so durchlese, dann klingt das jetzt äußerst vorwurfsvoll gegenüber allen Menschen, die Alkohol trinken, weil es halt Spaß macht und die Situation auflockert und cool ist und so. Und das möchte ich auch nicht. Menschen sollen Spaß haben und glücklich sein! Ich habe nur für mich festgestellt, dass ich das bei Alkohol nicht so empfinde.