Ich möchte mich als Lehrperson gerade mal zur Corona-Situation äußern, da ich mich von anderen Lehrkräften, die sich bisher dazu geäußert haben, nicht besonders gut vertreten fühle. Ich arbeite zurzeit in einem Gymnasium in einer kleineren Stadt und fühle mich dort sehr wohl. Die Schule ist nicht besonders gut ausgestattet, aber sie ist dennoch bemüht, ihr Bestes zu geben und allen Vorgaben aus der Politik zu folgen. Die Schulleitung versucht dabei, zwischen Eltern, Lehrpersonen, Politik und Lernenden zu vermitteln.
Die Äußerungen, die ich bisher von Lehrkräften wahrgenommen habe, zeigen eher die Ängste und das Unverständnis gegenüber der Politik. Ich möchte dagegen eine andere Sichtweise betonen, da ich das für eine Diskussion für angebracht halte. Ich möchte damit nicht die Gefühle der anderen kleinreden, sondern lediglich meine eigene Position verdeutlichen.
In meiner Forschung zu Schulsystemen beschäftige ich mich sehr intensiv mit der Entwicklung von Schulen über die Jahrhunderte und denke sehr häufig darüber nach, wie es sein kann, dass sich so ein Konstrukt herausgebildet hat. In meinem Lehramtsstudium wurde dagegen eher weniger Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, was der konkrete Grund dafür ist, dass Staaten Schulen besitzen. Wer Lehrerin werden möchte, will möglicherweise auch eher wissen, wie man anderen nun konkret etwas beibringen kann, anstatt darüber nachzudenken, welche Funktionen von einer Schule übernommen werden.
Und selbst wenn man über Schule und ihre Funktionen nachdenkt, wird eher die Didaktik selbst in den Vordergrund gestellt. Schülerinnen und Schüler sollen sich ganzheitlich bilden (humanistisches Ideal) oder sie sollen zumindest erzogen werden, um ihr Leben autonom bestreiten zu können. Lehrpläne formulieren dementsprechend unter anderem Ziele wie diese: "Die Entwicklung und Stärkung der Persönlichkeit sowie die Möglichkeit zur Gestaltung des eigenen Lebens in sozialer Verantwortung und die Befähigung zur Mitwirkung in der demokratischen Gesellschaft gehören zum Auftrag des Gymnasiums." (Lehrplan Gymnasium Sachsen Deutsch 2019)
Doch dies sind vordergründig eigene Vorstellungen der Institutionen und nicht etwa Anforderungen, die von der Gesellschaft konkret gestellt werden. Wenn es nun also in der Corona-Pandemie darum geht, dass Schulen geöffnet bleiben sollen, damit möglicherweise die Wirtschaft unter anderem nicht auf die Arbeitskraft der Eltern verzichten muss, dann handelt es sich hierbei für mich um eine Fortführung politischer Gedanken, die ein Schulsystem überhaupt erschaffen haben, denn Schulen waren niemals unbedingt perfekte Orte der Bildung. Sie waren der Versuch, mehrere gesellschaftliche Fragen zu beantworten, unter anderem: Wie kann man gute Rekruten für die eigene Armee ausbilden? Wie kann man treue Untertanen erziehen? Wie soll die nächste Elite des Landes beschaffen sein?
Der Streit über die Ziele verdeckt darüber hinaus auch die Frage danach, ob die selbst gesetzten Ziele einer Schule überhaupt am besten vom Schulsystem gelöst werden können. Es könnte genauso gut sein, dass andere Organisationsformen ein besseres, sicheres und effizienteres Lernen ermöglichen, aber durch die Institution verdeckt werden: Ich bin zum Beispiel sehr von der Reggio-Pädagogik angetan, bin aber ebenfalls unsicher, wie sie am besten in einen Schulkontext überführt werden kann.
In diesem Zusammenhang sehe ich die Äußerungen von Lehrkräften und der Politik darüber, was Schule sein soll, als oberflächlich an, weil sie sich lediglich damit beschäftigen, die Ausrichtung des Systems zu überdenken, anstatt das System als solches zu verändern. Ich denke, dass eine Krise genutzt werden kann, nicht einfach nur um eine Digitalisierung an einer Schule umzusetzen, sondern fundamental über Schule und die damit einhergehenden gesellschaften Aspekte nachzudenken.